Energy & Infrastructure Insights – Die Bedeutung von LNG für die Energieversorgung Deutschlands
Deutschland arbeitet mit Hochdruck am Bau von Flüssiggas-Terminals, um die Energieversorgung des Landes auch ohne russisches Pipeline-Gas abzusichern. Das erste der schwimmenden Terminals, sogenannte Floating Storage and Regasification Units (FSRU) soll bereits bis Jahresende in Wilhelmshaven in Betrieb gehen. Eine gute Nachricht mit Blick auf die Energie-Krise. Dennoch gibt es auch Kritik. Prof. Dr. Claudia Kemfert, die seit 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) leitet, erläutert im Gespräch mit Latham Energie- und Infrastruktur Partner Dr. Tobias Larisch, dass die aktuelle Krisensituation hätte vermieden werden können, wenn frühere Aufrufe zum Bau von Terminals Gehör gefunden hätten. Sie hofft zudem, dass der gleiche Ehrgeiz, der jetzt für den Bau der Terminals an den Tag gelegt wird, zukünftig für die konsequente Umsetzung der Energiewende aufgebracht wird.
Larisch: Welche Bedeutung kommt nach Ihrer Einschätzung LNG für die Ab-koppelung Deutschlands von russischem Gas zu?
Kemfert: LNG hat kurzfristig eine bedeutsame Rolle, um Gas aus anderen Ländern als aus Russland nach Deutschland zu importieren. Um nicht weiter so stark abhängig zu sein von den russischen Gaslieferungen, benötigen wir eine Diversifikation der Gasimporte. Wie unsere Studien zeigen, fordern wir seit über 15 Jahren dem Bau mindestens eines Flüssiggasterminals in Deutschland. Man hat sich bekanntlich gegen LNG Terminals, aber für den Bau von Gas-Pipelines entschieden, und hat so die Abhängigkeit zu Russland in gefährliche Höhen getrieben. Dies war ein Fehler, man hätte damals auf dem Bau von Flüssiggas Terminals bestehen sollen.
"Wie unsere Studien zeigen, fordern wir seit über 15 Jahren dem Bau mindestens eines Flüssiggasterminals in Deutschland. Man hat sich bekanntlich gegen LNG Terminals, aber für den Bau von Gas-Pipelines entschieden, und hat so die Abhängigkeit zu Russland in gefährliche Höhen getrieben. Dies war ein Fehler, man hätte damals auf dem Bau von Flüssiggas Terminals bestehen sollen."
Larisch: Wird LNG auch mittel- und langfristig für die Energieversorgung Deutschlands eine Rolle spielen?
Kemfert: LNG wird mittel und langfristig keine Rolle mehr spielen in der deutschen Energieversorgung, das liegt an den hohen Treibhausgasemissionen, die mit der Förderung, den Transport und dem Verbrennen von fossilem Erdgas entstehen. Wenn wir die Klimaziele einhalten wollen, wird die Bedeutung von fossilem Erdgas zurückgehen müssen. Wir benötigen grüne Gase, grünen Wasserstoff, oder synthetische Gase. Diese verursachen keine Treibhausgasemissionen und werden als Treibstoff und Energiespeicher im Rahmen der Energiewende wichtig sein.
Larisch: Mit Blick auf die erheblichen Investitionen, die nun erforderlich sind, um Onshore-LNG-Importterminals in Deutschland zu errichten – halten Sie eine Umstellung auf andere Technologien (z.B. für grünen Wasserstoff) für eine rea-listische Zukunftsperspektive?
Kemfert: Absolut, denn wir benötigen einen Import von grünem Wasserstoff, um in Deutschland die Energieversorgung sicherzustellen und die Klimaziele zu erreichen. Allerdings bedeutet der Bau von LNG Terminals nicht automatisch, dass damit Wasserstoff importiert werden kann. Dafür bedarf es einer komplett neuen Infrastruktur und Terminals. Anders ist dies bei grünen Gasen oder synthetischen Gasen, die ähnliche Eigenschaften aufweisen wie fossiles Erdgas.
Larisch: Wie bewerten Sie das LNG-Beschleunigungsgesetz?
Kemfert: Man staunt, was in Deutschland in kürzester Zeit möglich ist. Man braucht für den Bau eines Windrad und deren Genehmigung sieben Jahre, für den Bau eines Flüssiggas Terminals neuerdings vier Monate. Das ist angeblich die neue Deutschland Geschwindigkeit, die ich mir dringend beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der Herstellung von grünem Wasserstoff oder auch bei der Implementierung von Speichern wünschen würde. Sicherlich ist es sinnvoll, für den Übergang Flüssiggas aus anderen Ländern nach Deutschland zu importieren. Dennoch benötigen wir schon heute Investitionen in Wasserstoff Infrastrukturen und Terminals.
Larisch: Was halten Sie von der Idee, dass Europa beim Gaseinkauf koordiniert vorgeht?
Kemfert: Es ist durchaus sinnvoll, dass sich Europa beim Gaseinkauf koordiniert. Es sollte vermieden werden, dass überbietender Wettbewerb beim Einkauf entsteht, und die Länder sich gegenseitig das Gas auf dem Weltmarkt wegkaufen. Es bedarf Solidarität beim Gaseinkauf und der Verteilung. In Europa sitzen alle in einem Boot, deswegen ist eine koordinierte Gasmarkt Versorgung absolut essentiell.
Larisch: Ein Blick in die Zukunft - wie wird unsere Energieinfrastruktur in 5-10 Jahren aussehen und welche Weichen müssen dafür jetzt gestellt werden?
Kemfert: In fünf bis zehn Jahren ist die Energieversorgung hoffentlich zu großen Teilen auf erneuerbare Energien ausgerichtet. Eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien ist gekennzeichnet durch eine möglichst starke Elektrifizierung möglichst aller Bereiche, wie beispielsweise der Wärmepumpe für Gebäude, der Elektrifizierung des Individualverkehrs oder auch die Ausweitung des Schienenverkehrs. Dadurch erhöht sich zwar der Strombedarf, aber der Primärenergiebedarf sinkt deutlich im Vergleich zu heute. Auf diese Anforderungen und Bedarfe muss auch Energie-Infrastruktur ausgerichtet werden durch mehr Dezentralität, Flexibilität und Digitalisierung. Wir benötigen somit einen Ausbau der smart grids, der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität sowie des Schienennetzes und ÖPNV, und eine ausreichende Digitalisierung in ganz Deutschland. Denn nicht nur für ein intelligentes Energie- und Lastmanagement ist die Digitalisierung wichtig, sondern auch für Mobilitätsdienstleistungen von morgen. Genau dies muss so schnell wie möglich umgesetzt werden.